Mit steigender Tageslänge und Temperaturen im erträglichen Bereich verspüren viele den Drang ins Grüne. Nach einem dunklen, kalten Winter endlich wieder an die frische Luft!
Für die Mückenabschreckung ist es noch zu früh, also nichts wie rein ins Vergnügen! Auch der Garten bettelt um ein paar pflegende Handgriffe, schnell die Schere zur Hand, den Rechen heraus und den Rasenmäher frischgemacht und ans Werk!
Da es ja noch kühl ist, sollten feste Schuhe einen ausreichenden Schutz vor Erkältung und anderen Unbilden gewähren. Außerdem scheint ja schon ab und zu auch die Sonne!
Wenn da nicht ein kleines Tierchen den Winter im Laub am Boden überstanden hätte, das nur darauf wartet, sich auf jeden Warmblüter zu stürzen, der sich ihm nähert, und mit dem um diese Zeit im Jahr noch niemand rechnet: Der gemeine Holzbock, auch als Zecke bekannt.
Diese allerliebsten Tierchen verstecken sich in Bodennähe und überwintern recht gut in unseren Breiten, und wenn der Winter nicht gerade sehr lang und sehr kalt war, sind sie jetzt gerade am erwachen – und sehr hungrig. Wie genau sie sich ihre Opfer suchen ist noch nicht genau bekannt, aber der Körpergeruch spielt eine wesentliche Rolle. Leider wirken die meisten Mückenrepellentien nicht so wie wir uns es wünschen.
„Alles halb so wild, ich bin ja geimpft!“ – Eine gute Idee, wenn man im Endemiegebiet der Frühsommer – Meningoencephalitis (FSME) wohnt oder dorthin verreist.
Das ist eine durchaus ernstzunehmende Erkrankung, die manchen, wenn sie voll ausgeprägt ist, zum lebenslangen Pflegefall machen kann.
Leider sind diese Viren nicht das einzige Mitbringsel dieser kleinen Raubtiere.
Eins, das wesentlich weniger öffentlich bekannt ist, aber nicht weniger Schaden anrichtet, ist Borrelia burgdorferi, eine Bakterienart, die erst 1975 als Krankheitsursache für die Lyme-Borreliose erkannt wurde. Lyme ist ein kleines verschlafenes Nest in den USA, wo einem Arzt auffiel, daß er viele Patienten mit einem ungewöhnlichen Krankheitsbild hatte, die alle eins verband: sie waren von Zecken gebissen worden.
Es erforderte lange und intensive Forschung, um der Entstehung dieser Krankheit auf die Schliche zu kommen, denn Borrelien sind wahre Meister der Tarnung und Täuschung.
Die Symptome reichen von Gelenkschmerzen, Fieber, rheumatischen Beschwerden bis zu Sehstörungen, Depressionen und Psychosen. Dazu Nervenschäden, Taubheitsgefühle, sogar Lähmungen.
Der Leidensweg der Patienten wird dadurch nicht einfacher, daß es nur sehr schwer ist, Borrelien im Blut oder in der Rückenmarksflüssigkeit nachzuweisen. Ein einfacher Bluttest gelingt selten bis nie.
In der Regel wird der Patient befragt und nach den Ergebnissen dieser Befragung und einer Reihe von Untersuchungen eine Diagnose „Lyme-Borreliose“ gestellt, wenn man alle anderen Ursachen ausschließen kann.
Das heißt nicht mehr und nicht weniger, daß es ein langer Weg ist bis dahin.
Manch ein Patient wird dank der Verschiedenheit der Symptomatik auf Rheuma, Arthritis, AIDS, MS oder Psychosomatik behandelt, was sehr lange erfolgt und nirgendwohin führt. Das liegt einerseits daran, daß die Borreliose sehr komplex und weitgehend unerforscht ist, andererseits auch daran, daß sie im Bewußtsein von Patienten wie Ärzten noch keinen großen Stellenwert besitzt.
Einer der Gründe, warum die Lyme – Borreliose sich der Aufmerksamkeit der Diagnostik so gut entzieht ist, daß das Hauptsymptom, die Wanderröte, in den meisten Fällen nicht auftritt und daß eine Zecke schnell in Vergessenheit gerät, wenn die ersten Symptome abgeklungen sind. In gut drei Vierteln der Fälle ist das auch alles was passiert, denn Borrelien sind geduldig. Auch weiß der Körper sich recht gut zu schützen, indem er ungebetene Gäste in die Schranken verweist.
Die meisten jedenfalls.
Borrelien verstecken sich im Inneren von Körperzellen, vorzugsweise in wenig durchbluteten Organen. Wir finden sie deswegen häufig in Gelenken, wo der Knorpel ihnen gute Deckung bietet. Sie bewegen sich nur alle 29 Tage aus der Deckung um sich zu vermehren, können aber auch jahrelang schlafen, solange die körpereigene Immunabwehr funktioniert. Eine schwere Erkrankung oder eine Belastung, die die Immunabwehr an ihre Grenzen bringt kann das Startsignal für einen großflächigen Ausbruch sein. Dann tritt die Borreliose vom Latenz- in das Akutstadium ein und der Patient kann sich überhaupt nicht erklären, warum er sich matt fühlt, ihm alles weh tut und er sich schlechter bewegen kann und vieles mehr nicht stimmt. Erst wird mit Hausmittelchen experimentiert, dann wird doch der Arzt gefragt, der auch erst einmal ratlos ist und der den Patienten zu Fachärzten überweist, die spezielle Untersuchungen zu einzelnen Verdachtsmomenten veranlassen.
An die Zeckenbisse, die oft Jahre her sind, denkt erst einmal niemand.
Seriöse Daten gibt es nicht, aber es liegt der Verdacht nahe, daß jeder vierte Mitteleuropäer Träger von schlafenden Borrelien ist.
Zecken findet man auch im Wald, aber eben nicht nur dort. Parks in Städten, Gärten, Blumenkästen, sogar Weihnachtsbäume können Zecken beherbergen, und die finden es ganz toll, wenn sie aus der kalten Schonung den Weg in eine kuschlig warme Wohnung finden, wo sie Nahrung im Überfluß finden: Uns und unsere Haustiere.
Diese Biester können überall auftreten.
Es gibt Impfungen gegen Borrelien, jedoch nur für Hunde. Bei Menschen wirken diese Impfstoffe nicht wie gewünscht, bei Katzen auch nicht. Abgesehen davon sind Borrelien in der Zecke nicht allein: Sie bringen Freunde mit zur Party und das sind nach derzeitigem Kenntnisstand fast 60 verschiedene. Wenige davon sind bisher erforscht, was auch daran liegt, daß tropische Infektionen bei der Forschung im Fokus liegen wie Zika oder Ebola. Ein anderer Grund dafür ist, daß diese Trittbrettfahrer oft regional verschieden häufig auftreten und ihrerseits in viele Untergruppen unterteilt sind.
Einer dieser Begleiter ist Babesia microti, bei Hundebesitzern gefürchtet als Erreger der Hundemalaria. Das ist keine echte Bakterie, sondern ähnelt im Aufbau einer höherentwickelten Zelle, was sie dank der Ähnlichkeit zu unserem eigenen Körper sehr schwer zu diagnostizieren – und zu bekämpfen macht. Bei weiteren Begleitern kennt die Wissenschaft gerade ihre Namen.
Das Auftreten der Wanderröte, die sich in einem Ring um die Einstichstelle zeigt, der mit der Zeit immer größer wird, ist mit der Infektion mit Babesien verbunden. Da dies bisher als wesentliches Zeichen einer Borreliose verstanden wurde schloß man immer gerne eine Borreliose aus, wenn diese Wanderröte nicht auftrat. Das hat sich leider als Fehler herausgestellt.
Bei den anderen Begleitern ist der Kenntnisstand noch dürftiger.
Alles in allem ist die Diagnose ein schwieriges Terrain, auf dem es viele Irrwege und Verzweigungen gibt. Da sollte es doch ein Leichtes sein, diese Biester wieder loszuwerden!
Leider ist auch hier der Weg weit und verzweigt. Bei Borrelien wird in der Phase der Wanderröte oft zu einfachen und billigen Mitteln aus der Gruppe der Tetrazykline gegriffen. Die sind zwar für Menschen recht gut verträglich, leider auch für die Borrelien. Hier muß mit wesentlich spezialisierten Mitteln gearbeitet werden, weil diese Plagegeister sich tief im Inneren unserer Körperzellen verstecken und, sobald sie sich dort eingenistet haben, für die meisten Antibiotika unerreichbar sind. Selbst viele der Wirkstoffe, die in Zellen eindringen, werden vom sauren Milieu, mit dem sich Borrelien umgeben, inaktiviert.
Die begleiteten Babesien sind noch am besten mit Malariamitteln zu bekämpfen, aber „einfach“ ist hier vielleicht nicht das richtige Wort.
Wir wissen noch viel zu wenig.
Deswegen ist es an der Zeit, intensiv den Lebensweg und den Begleiterzoo der Borrelien zu studieren und zu erforschen, denn hier ist viel Leid vorhanden, das oft unerkannt und selbst in bester Absicht fehlbehandelt, Mensch und Tier oft über Jahrzehnte quält.
Was kann ICH tun als Patient?
Wichtig: auf jeden Zeckenbiß achten. Die Zecke möglichst schnell und vollständig entfernen, aufheben und zur Untersuchung einschicken. Die Sets dafür gibt es in jeder Apotheke.
Auf jeden Fall zum Arzt, wenn sich die Bißstelle entzündet. Jucken wird sie auf alle Fälle tagelang, aber eine mehr als handtellergroße Rötung, die außen wächst und später innen wieder abklingt, sollte alle Alarmglocken klingeln lassen.
Wichtig: an Zeckenbisse denken, wenn unklare Beschwerden Dich zum Arzt treiben. Der kann nicht erraten, was früher mal passiert ist, und oft ist es eine kleine, ansonsten vernachlässigte Information, die der Diagnose maßgeblich hilft.
Wichtig: auch da mit Zecken rechnen, wo alles sauber und aufgeräumt aussieht. In einem gutgepflegten, golfplatzkurzgeschnittenen Rasen kann es genauso Zecken geben wie in der Wildnis oder unter dem (bio-) Weihnachtsbaum aus regionalem nachhaltigen Anbau.
Überall wo Vögel, Mäuse, Katzen und Hunde in Kontakt mit der Außenwelt leben gibt es Zecken. Diese Biester können monatelang auf der Lauer liegen und auf den Augenblick warten, wo sich ihnen ein unvorsichtiger, lecker duftender Warmblüter nähert. Da sie sich weder an Stinkefüßen noch an veilchenduftenden, frischgewaschenen Hautpartien stören, ist der Grad der persönlichen Reinlichkeit für die Zecke nicht entscheidend. Manche Menschen sind für Zecken attraktiver als andere, warum gilt es noch herauszufinden.
Was kann ich tun als Arzt?
Wenn Patienten über unklare Symptomatik klagen, auch an so scheinbar banale Dinge denken, wie Zeckenbisse. Oft ist detektivischer Spürsinn gefordert, manchmal bedarf es sorgfältiger analytischer Deduktion um auf Ursachen zu kommen. Das kostet Zeit, lohnt aber, denn wenn dem Patienten geholfen werden kann waren die Zeit und Kraft gut investiert. Wenn dadurch eine schwerere Erkrankung bis hin zur totalen Berufsunfähigkeit und totalem Verlust jeglicher Lebensqualität verhindert werden, umso mehr.
Ulrich Biele
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